Der Beruf des Rechtspflegers ist geschichtlich gesehen ein sehr junger. Erst vor knapp 100 Jahren wurden die ersten Ansätze geschaffen, und zwar mit einem Entlastungsgesetz vom 11. März 1921 der damals jungen Deutschen Demokratie nach einem verheerenden ersten Weltkrieg. Doch die Wurzeln reichen weitaus tiefer zurück. So heißt es in der Bibel: "Du aber, Esra, setze nach der Weisheit deines Gottes, die in deiner Hand ist, Richter und Rechtspfleger ein, die allem Volk Recht sprechen,…"
Na gut, zugegeben, diese Übersetzung stammt aus einem Seminar von Religionswissenschaftlern in der evangelischen Akademie in Loccum, welche dem Bund Deutscher Rechtspfleger verbunden war. Allerdings machte es das sich entwickelnde Prinzip der Rechtsprechung deutlich, wonach es eine Arbeitsteilung zwischen derHoheit der Letztentscheidung und der Fachkompetenz der Fallbearbeitung geben sollte.
War diese Letztentscheidung zunächst immer den Herrschenden vorbehalten, so entwickelte sich über die Jahrhunderte dann die Anforderung an Rechtsgelehrte, die dann zu Richtern wurden. Diese ließen sich die Sachverhalte so aufbereiten, dass sie nur noch die Entscheidung treffen mussten; und eben diese Aufbereitung war die Aufgabe einer besonderen Berufsgruppe, der Gerichtsschreiber.
Am Ende des 19. Jahrhunderts aber zeichnete sich nach einigen Kriegen des Deutschen Kaiserreichs ab, dass die Zahl der rechtsgelehrten Richter derart geschrumpft war, dass die Aufgaben der Gerichte nicht mehr erfüllt werden konnten. Das war die Geburtsstunde des Rechtspflegerberufs. Dass es dann noch bis 1921 dauerte, bis daraus eine gesetzliche Regelung wurde, ist dem Weltkrieg und den langsamen Mühlen der Justizpolitik geschuldet. Aber 1921 war von einem Rechtspfleger noch nicht die Rede. Den beamteten Gerichtsschreibern wurde lediglich die volle Eigenverantwortung über eine Aufgabe übertragen, die sie ohnehin bereits seit Jahren vollständig erledigten, ohne allerdings das Verfahren mit der eigenen Unterschrift zum Abschluss bringen zu dürfen. Dafür musste immer noch ein Richter herhalten. Erst 1923 stellte man in einer Preußischen Entlastungsverfügung fest, dass es sich ja nunmehr nicht mehr um einen reinen Gerichtsschreiber oder Geschäftsstellen Organisator handelt und nannte diesen Funktionsträger fortan Rechtspfleger.
Der Rest ist eigentlich schnell erzählt. Es gab einen Weltkrieg, welcher von Deutschland angezettelt wurde. Rechtspflege spielte da offensichtlich genauso wenig eine Rolle wie das Recht an sich. Nach diesem Weltkrieg ging es um die Frage, wie man eine zerstörte Gesellschaft wieder zum Leben erweckt. Zum Glück wurde diese Frage mit der Gründung einer funktionierenden Demokratie beantwortet. Und eine Grundlage dieser Demokratie ist die Gewaltenteilung. Hier war sofort klar, dass eine Struktur geschaffen werden muss, die ein funktionierendes und menschengerechtes Rechtssystem hat. Recht gesprochen wurde fortan von Berufsrichtern, Rechts gepflegt werden dagegen sollte von Rechtspflegern, zu denen inzwischen auch Rechtspflegerinnen hinzugekommen waren. Schließlich verabschiedete der Deutsche Bundestag am 08.Februar 1957 das Deutsche Rechtspflegergesetz, welches als Teil der deutschen Gerichtsverfassungsgesetze verstanden wird.
Schon bald wurde aber klar, dass es keine klare Trennung dieser Begriffe gab. Der Rechtspflegerberuf entwickelte sich zunehmend zu einem rechtswissenschaftlichen Anforderungsprofil, was dann in den 1970er Jahren zur Schaffung einer akademischen Ausbildung mit dem Abschluss eines Diplom-Juristen der Rechtspflege führte. In den Jahren 1969, 1974 und 1998 wurde dieses Gesetz modifiziert und deutlich erweitert. Heute stellt sich die Funktion des Rechtspflegers als wesentlicher Bestandteil des Rechtssystems dar und steht in vielen Rechtsgebieten gleichwertig neben dem Richterberuf.
Der Weg ist aber noch nicht am Ende angekommen. Rechtspfleger und Rechtspflegerinnen wurden und werden immer noch als die „zweite Säule der Dritten Gewalt“ bezeichnet. Um diesem Anspruch aber wirklich gerecht zu werden, muss die begonnene Reform des Rechtssystem abgeschlossen werden. Rechtspflegerinnen und Rechtspflegern muss die gleiche gesellschaftliche und statustrechtliche Stellung eingeräumt werden, wie sie auch Richter innehaben. Erst dann kann man davon sprechen, dass es sich um die eigentlich gewollten Fachjuristen bei den Gerichten und Staatsanwaltschaften handelt.
(Wolfgang Lämmer, Ehrenvorsitzender BDR NRW und BDR Bund, im Jahre 2019)